Erweckung in Deutschland
Inhaltsverzeichnis
Die deutsche Erweckungsbewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts
Nachdem der Barockpietismus um Spener, Francke und Zinzendorf gegen 1730 seinen Höhepunkt überschritten hatte, nahm die geistliche Bewegung in Deutschland immer mehr ab. An vielen Orten zogen sich die Pietisten als die „Stillen im Lande“ zurück, auch wenn vereinzelt prägende Persönlichkeiten das geistliche Feuer wach hielten. Die französische Revolution 1789 und die Auflösung des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ 1806 durch Napoleon erschüttern viele Menschen in Deutschland. Unterstützt durch eine allgemein stärker werdende romantische Offenheit für das Übersinnliche entstehen nach der politischen Neuordnung Europas im Wiener Kongress 1815 in vielen deutschen Gegenden Erweckungsherde. Es kommt zu einem allgemeinen geistlichen Aufbruch, der um 1830 seinen Höhepunkt erreicht und dann wieder etwas abflaut. Die Ausläufer führen aber zu einer langfristigen Neubelebung vieler Landeskirchen und bilden die Grundlage für die dann um 1890 entstehende Gemeinschaftsbewegung, die als nächster erwecklicher Aufbruch in Deutschland gilt. Da Deutschland um 1815 noch kein Nationalstaat war, sondern aus einer Vielzahl von Territorien bestand, entwickelte sich auch die Erweckung nicht als gesamtdeutsche Bewegung, sondern in sehr unterschiedlichen regionalen Formen.
Allgäu
Eine der ersten Erweckungen in Deutschland fand im Allgäu statt. Im Gegensatz zu vielen anderen Erweckungsgebieten spielte sie sich innerhalb der katholischen Kirche ab. Beeinflusst von dem katholischen Bischof Johann Michael Sailer (1751-1832) versammelten sich seit 1794 Priester im Seeger Kreis und entwickelten einen evangelischen Rechtfertigungsglauben. Zu diesem Kreis gehörte Martin Boos (1762-1825) und Johann Baptista Gossner (1773-1858). Die Erweckung griff bis nach München über und wurde durch Kontakte zu anderen Erweckungsgebieten vertieft.
Karlshuld
Karlshuld ist ein Ort im bayrischen Donaumoos, südwestlich von Ingolstadt. Im August 1826 wurde Johann Evangelist Georg Lutz Pfarrer in Karlshuld. Für seine Pfarrei entwickelte er ein starkes soziales Engagement. Er entwickelte Beschäftigungsmodelle und organisierte Spendenaktionen und gewann schnell die Herzen der notleidenden Bevölkerung. Ab 1830 wurde Lutz mehrfach wegen "mystizistischer Abweichungen" von der Lehre der katholischen Kirche vor das Augsburger Ordinariat geladen. 1831 trat er mit einem Teil seiner Gemeinde (rund 700 Gemeindemitglieder) aus der römisch-katholischen Kirche aus und gründete erst eine evangelische Kirchengemeinde und später eine katholisch-apostolische Gemeinde.
Württemberg
Württemberg war seit Bengel und Oetinger schon vielfältig erwecklich geprägt. Um 1826 kam es dann zu einem neuen Aufbruch durch den jungen Pfarrer Ludwig Hofacker (1798-1828), der in nur zwei von Krankheiten gezeichneten Jahren bis zu seinem frühen Tod eine starke Bewegung auslöste. Eine große Bußbewegung entstand auch durch die Verkündigung von Johann Christoph Blumhardt (1805-80) der als Pfarrer von Möttlingen einen jahrelangen Kampf um das Heil und die Heilung der Frau Gottliebin Dittus führte und dann ab 1852 in Bad Boll ein geistliches Sanatorium führte.
Baden
In der katholischen Dorfgemeinde im Wurmtal südlich von Pforzheim wirkte der Priester Aloyis Henhöfer (1789-1862). Unter dem Einfluss der Allgäuer Erweckung bekehrte er sich in jungen Jahren zum Evangelium und verließ mit seiner gesamten Gemeinde die katholische Kirche. Auch Henhöfer wandte sich immer wieder gegen den toten Rationalismus seiner Tage und predigte die Gnade Gottes. Der Fabrikant Carl Mez aus Freiburg hat ebenfalls die Erweckung in Baden unterstützt und später auf Elias Schrenk gewirkt.
Franken
In Nordbayern konnte sich die Erweckungsbewegung zu allererst festsetzen. Von Nürnberg und Erlangen aus wirkten viele Pfarrer und Prediger im erwecklichen Sinne. Der reformierte Theologieprofessor Christian Krafft (1784-1845) sammelte die Erlanger Kreise um sich. Zunächst arbeiteten in diesen Kreisen Lutheraner, Reformierte, Herrnhuter und Katholiken zusammen, später wurde die Erweckung jedoch unter Wilhelm Löhe (1808-72) und seinem Zentrum in Neuendettelsau streng lutherisch. Die gesamte Landeskirche in Bayern stellte sich geschlossen zu Luther und seiner Theologie, besonders unter dem Oberkonsistorialpräsident Adolf Harleß (1806-79). Neben der starken missionarischen und diakonischen Ausprägung der Kirche entwickelte sich an der Universität Erlangen eine beispiellose Schule erwecklicher Theologie, die so genannte Erlanger Theologie (Hofmann, Frank, Delitzsch, Zahn, Ihmels, Elert, Althaus, usw.).
Siegerland
In Verbindung mit der Erweckung im Wuppertal stand auch die siegerländische Erweckung, angestoßen durch den Tersteegianer Heinrich Weisgerber und dem Gerbermeister Tillmann Siebel (1804-75). Weisgerber und Siebel waren starke Verkünder. Die bekehrten Kreise schlossen sich in Gemeinschaften zusammen, welche durch Reiseprediger versorgt wurden. Der Siegerländer Gemeinschaftsverband einte so die zerstreut lebenden Neubekehrten. Er ging später in die Gemeinschaftsbewegung ein.
Niederrhein und Wuppertal
Der Niederrhein war schon seit Tersteegens Zeiten stark pietistisch beeinflusst. In Kaiserswerth bei Düsseldorf gründete Theodor Fliedner mit seiner Frau 1836 das erste deutsche Diakonissenhaus. Der Schwerpunkt der Erweckung verlagerte sich aber nach dem Wuppertal, einem Ort von verschiedenen religiösen Gegensätzen. Besonders die dortige reformierte Gemeinde unter der Verkündigung von Gottfried Daniel Krummacher (1774-1837) und Hermann Friedrich Kohlbrügge (1803-75) wuchs rasch durch die Verkündigung der freien Gnade im reformierten Sinne. Aber auch manche Freikirchen nahmen im Wuppertal ihren Anfang. Carl Brockhaus (1822- 99) gründete gegen 1850 die deutschen Brüderversammlungen, Hermann Heinrich Grafe 1854 die Freien evangelischen Gemeinden.
Minden-Ravensberg
Die Erweckungsbewegung beeinflusste auch ärmere Bevölkerungsschichten. Hierfür steht die Erweckung von Minden-Ravensberg, die durch den Pastor Johann Heinrich Volkening (1796-1877) angestoßen wurde. Auch Volkening versuchte, als einflussreicher Kirchenmann die Kanzeln seines Bezirkes mit gläubigen Pfarrern zu besetzen, was ihm auch bald gelang. Er legte Wert auf die Ausbildung von Posaunenchören. Seit Leitvers lautete: “Gerettetsein gibt Rettersinn.
Bremen
Ein weiteres Zentrum der Erweckung wurde die Stadt Bremen. Hier wirkte der reformierte Pastor Gottfried Menken (1768-1831). Menken wurde durch seine scharfe Kritik an der Aufklärung und der Französischen Revolution bekannt. Er konnte ausrufen: "Alle Revolutionen sind gegen das Reich Gottes." In der Aufklärung konnte er nur einen Kult der Menschenvergötterung erkennen. Seine Antwort war ein ausgeprägter Biblizismus mit der Überzeugung von der Irrtumslosigkeit des Gotteswortes.
Hamburg
Hier kam es nicht zu einer durchgreifenden Erweckungsbewegung, trotzdem wurde die Stadt von kleinen Konventikelkreisen im erwecklichen Sinne geprägt. Matthias Claudius und sein Schwiegersohn Friedrich Christoph Perthes konnten ebenso eine kleine Schar um sich sammeln wie Johann Gerhard Oncken, der Vater des deutschen Baptismus. Innerhalb der Landeskirche in Hamburg war auch der Pfarrer Rautenberg durch die Erweckungsbewegung angestoßen worden, eine erste Sonntagschule zu gründen. Auch der Vater der inneren Mission, Johann Heinrich Wichern, kam aus Hamburg. Er sah die Not der Großstädte und plädierte für soziale Hilfen der Kirchen. Die Gründung des "Rauhen Hauses" bildete den Anfang für viele andere missionarisch-diakonische Bemühungen der Inneren Mission.
Schleswig-Holstein
Auslöser der Erweckung wurde hier der so genannte Emkendorfer Kreis um die Gebrüder Reventlow. Sie wollten der Aufklärung an der Universität in Kiel widerstehen und setzten sich für die Berufung eines bibeltreuen Theologen ein. 1814 wurde dann August Twesten als theologischer Professor nach Kiel berufen und konnte dort die Aufklärung zurückdrängen. Ihm zur Seite stand der Pastor Claus Harms (1778-1855), der 1817 fünfundneunzig Thesen zur Situation der Kirche verfasste. Er beklagte darin die zersetzende Tendenz der Aufklärungstheologie und forderte von den Kirchenleitungen einen radikalen Kurswechsel. Als Prediger hatte er wegen seiner volkstümlichen Redeweise eine große Zuhörerschaft.
Berlin
Die Berliner Erweckten waren durch die Herrnhuter Bewegung des Grafen von Zinzendorf beeinflusst. Der Prediger der Böhmischen Bethlehemsgemeinde, Johannes Jänicke, gründete eine Missionsschule und war mit den englischen Evangelikalen eng verbunden. Ein reges Sozialwerk schuf der Baron Ernst von Kottwitz (1757-1843). Ein besonderes Charakteristikum der Berliner Erweckung lag darin, dass sie die hohen Gesellschaftsschichten erreichte. In Berlin ansässige Adelige wie von Bethmann-Hollweg und von Thadden wurden erweckt, ebenso König Friedrich Wilhelm IV. Zur Erweckung hielten sich auch der Alttestamentler Ernst Wilhelm Hengstenberg und der Minister Ludwig von Gerlach, beides überzeugte Lutheraner. Seit 1820 predigten für vier Jahrzehnte größtenteils bekehrte Prediger in Berlins Kirchen und Gemeinden.
Pommern
Aus adeligen Kreisen in Berlin wurde die Erweckung auch nach Pommern getragen. Die Versammlungen der Brüder Below waren so stark besucht, dass die Polizei eingriff und sie kurzerhand verbot. Daraufhin versammelte man sich heimlich in Wäldern und Scheunen. Die Adeligen und Bauern trafen sich auf dem Gut von Adolf von Thadden (1796-1882), dessen Trieglaffer Konferenzen das Zentrum der Erweckungsprediger in Pommern wurde. Auch Bismarck bekehrte sich unter seinem Einfluss. Gustav Knak (1806-1878), seit 1834 Pastor in Wusterwitz, galt als der herausragende Prediger der pommerschen Erweckungsbewegung. Er organisierte besondere Missionsfeste, die das Interesse an der Äußeren Mission festigten und die Erweckung wach hielten.
Hannover/Lüneburg
Neben dem Liederdichter Philipp Spitta (1801-1859) bestimmte Pastor Ludwig Harms (1808-65) in Hermannsburg die hannoversche Erweckungsbewegung der. Er predigte evangelistisch und betonte die Äußere Mission. Hermannsburg wurde zum geistlichen Zentrum für die Lüneburger Heide und darüber hinaus. 1849 wird das heute noch bestehende Hermannsburger Missionswerk gegründet. Ludwig Harms wollte die Erweckung innerhalb der Kirche halten und betonte sehr stark die lutherischen Bekenntnisse.
Literatur
- GESCHICHTE DER NEUAPOSTOLISCHEN KIRCHE, Hrsg. Johann Gottfried Bischoff, Zusammengestellt und bearbeitet von Gottfried Rockenfelder, Friedrich Bischoff Verlag, Frankfurt am Main, 1960