Maranatha (Pinchas Lapide)

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Version vom 15. Januar 2022, 23:43 Uhr von Holger (Diskussion | Beiträge) (Streit um Maranatha)
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Streit um Maranatha

Der Ruf „Maranatha“ gehört zu demjenigen neutestamentlichen Traditionsgut, das – laut Pinchas Lapide [1]– Paulus der Urgemeinde in Jerusalem entnommen hat und das sich – in griechischer Übersetzung – auch am Ende der Johannesapokalypse findet (Offenbarung 22,20).

Der ursprünglich aramäische Wortlaut dieses Rufes war schon am Ende des 1. Jahrhundert eine gängige Glaubensformel, die deshalb auch in Griechisch geschriebenen Texten unübersetzt blieb (z.B. 1 Kor 16, 24).

Damit gehört er in die Reihe derjenigen Gebetsrufe, die direkt aus der Muttersprache Jesu und der ersten Jünger übernommen wurden, wie auch „Halleluja“, „Hosianna“, „Amen“ und „Abba“.

Natürlich wären diese Worte auch übersetzbar gewesen, aber offensichtlich wurden sie von späteren Generationen als „Urworte Jesu“ verstanden.

„Entscheidet man sich für maran-atha, wie etliche sehr alte Handschriften es bringen, wäre zu übersetzen: ´Unser Herr ist gekommen´ (in der historischen Vergangenheit).

Nicht weniger korrekt aber wäre das nachwirkende, präsentische Perfekt (ebenfalls maran-atha als Basis nehmend), das besagt: ´Der Herr ist da.´

Teilt man den Ruf hingegen wie folgt: Marana-tha, so ergibt sich ein Imperativ: ´Unser Herr, komm doch!´ Was einem Anruf oder Aufruf entspricht.“[2]

Pinchas Lapide folgend, wäre die Vergangenheitsdeutung „Der Herr ist gekommen“ die ursprüngliche Bedeutung, da dies die ältesten Belege nahelegen...

Welche der drei Übersetzungsmöglichkeiten nun aber die richtige ist, darauf gibt Lapide die „salomonische Antwort des Hebraisten“, dass „der aramäischen Formel ein Dreiklang von Aussagen innewohnt (…), die sprachlich in gleicher Weise möglich sind:

  1. „Unser Herr ist gekommen.“
  2. „Unser Herr ist da.“
  3. „Unser Herr, komm (doch)!“

Diese salomonische Antwort des jüdischen Hebraisten Pinchas Lapide korrespondiert mit der Frage nach dem „Reich Gottes“:

Erstens ist es mit Jesus Christus bereits angebrochen (Markus 1, 14-15), zweitens ist es „mitten unter uns“ (Lukas 17,21), also gegenwärtig, und drittens ist es zukünftig (Matthäus 6,10: „dein Reich komme“), seine Vollendung wird von Christen im „Unser Vater“ erbeten.

Quellen/ Anmerkungen

  1. (Prof. Dr. Pinchas Lapide, geboren am 18. November 1922 in Wien, gestorben am 23 Oktober1997 in Frankfurt am Main, war jüdischer Theologe und Religionswissenschaftler. Er war Institutsleiter an der Bar-Ilan-Universität (Israel) und hatte Gastprofessuren an theologischen Fakultäten in Deutschland und in der Schweiz inne. Auf christlicher Seite wurde seine Kenntnis des Neuen Testaments und sein Engagement für den jüdisch-christlichen Dialog geschätzt.)
  2. Pinchas Lapide, Ist die Bibel richtig übersetzt?, Band 2, Gütersloh 1994, S. 49-51